In einem vorherigen Blogbeitrag haben wir uns der Frage gestellt, ob es so etwas wie „agile Prozesse“ oder „agiles Prozessmanagement“ überhaupt gibt. Dort haben wir etabliert, dass „Agilität“ als solches ein System aus bestimmten Werten und Mindset ist. Darauf aufbauend widmen wir uns jetzt der Frage, wie wir das Geschäftsprozessmanagement mit Agilität, den dazugehörenden Werten und dem Mindset vereinbaren können.
Auf der strategischen bzw. organisatorischen Ebene beschreiben Geschäftsprozesse, auf welche Art und Weise ein Unternehmen mit dem Markt interagiert, sprich: womit das Unternehmen Geld verdient. Mit dem Geschäftsprozessmanagement wollen wir eben diese Prozesse und Wertschöfpungsketten darstellen und auch verwalten. Wir stellen Geschäftsprozesse mittels Modellen in bestimmten Notationen (Modellierungssprachen) dar und führen Erfolgskontrollen anhand von Kennzahlen durch.
Die gewonnenen Informationen verwenden wir wiederum, um in tiefer liegenden Prozessebenen Ergebnisse von Prozessanpassungen und -optimierungen zu messen.
Dies funktioniert so lange wie sich grundlegende Geschäftsprozesse nicht ändern. In der heutigen Welt haben wir es jedoch immer häufiger mit neuen, sich kontinuierlich ändernden Rahmenbedingungen in den Märkten zu tun (VUCA). Diese Veränderungen sorgen dafür, dass ganze Branchen umdenken müssen oder den dort tätigen Unternehmen sogar die Existenzgrundlage entzogen wird.
Beispiele hierfür sind die
- Der Einzelhandel (Wandel durch Onlineversandhandel),
- Die Foto- & Filmindustrie (analog vs. Digital),
- Die Musik-/Plattenbranche (digitale Distribution) und
- das Banken- & Versicherungsgeschäft (klassischer Vertrieb, Onlinevertrieb, Fin- & Insurtechs sowie das Vermittlergeschäft).
Tritt solch eine Situation für ein Unternehmen ein hängt dessen Überleben maßgeblich davon ab, ob es in der Lage ist sich und seine Geschäftsprozesse den geänderten Rahmenbedingungen am Markt anzupassen.
Werden agile Prinzipien und Werte auf dieser Ebene angewendet wird dies als „Business Agility“ bezeichnet: die Fähigkeit einer gesamten Organisation schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Dieses Reagieren beinhaltet mögliche Veränderungen in den Bereichen
- Führung und Führungskultur
- Unternehmenskultur
- Organisationsdesign und -struktur
- Flexible Geschäftsprozesse und operatives Geschäft (Produktentwicklung, Fertigung, Marketing, Vertrieb, HR, …)
und natürlich im Zusammenspiel dieser Punkte.
Wie jedoch treiben wir diese notwendigen Veränderungen voran, wie bringen wir sie in die Organisation und erzeugen Akzeptanz und Verständnis?
Mit dem klassischen Prozessmanagement verfügen wir über ein Werkzeug, das bereits vorhandene Prozesse darstellt und mit dem diese auch gesteuert werden können. Es ist bereits in allen Bereichen der Organisation verankert und vernetzt. Dieses Werkzeug können wir einsetzen um die notwendigen Veränderungen sowohl auf prozessualer, struktureller als auch auf kultureller Ebene zu gestalten und ins Unternehmen zu tragen. Kombiniert mit einem Vorgehen nach agilen Prinzipien und Werten können wir geplant, flexibel und zielgerichtet agieren und auf neue Erkenntnisse reagieren, die sich aus dem Vorgehen ergeben.
Um das zu erreichen müssen wir jedoch unsere Vor- und Herangehensweisen grundlegend ändern.
Zunächst muss klar formuliert werden, welche Ziele, welche Vision die Organisation als Ganzes verfolgt.
Diese Vision gibt die Richtung vor, in die das Unternehmen und damit auch die Prozesse gestaltet wird und werden.
“I believe that this nation should commit itself to achieving the goal,
before this decade is out, of landing a man on the moon
and returning him safely to the earth.”
JFK, Man on the Moon Speech
Joint Session of Congress May 25, 1961
Statt mit dem „Wie“ der oben genannten Werkzeuge aus dem Prozessmanagement müssen wir zunächst mit dem „Wozu“ und „Was“ beginnen. Wir müssen den Menschen, die in unseren Organisationen und Unternehmen arbeiten vermitteln, wozu der Status Quo verändert werden soll. Das beinhaltet die Klärung, was wir damit mit ihnen gemeinsam erreichen wollen und durch den Einbezug in das „Wie“ das Schaffen von Gestaltungsspielräumen.
Durch dieses Miteinbeziehen der am Prozess Beteiligten und der Dezentralisierung von Entscheidungen sorgen wir dafür, dass Veränderung und Weiterentwicklung von denen getrieben werden, die die dafür notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse mitbringen. Prozessorientierte Veränderungen und das Miteinbeziehen der Prozessbeteiligten stellen sicher, dass organisatorische Hürden überwunden und Silos abgebaut werden. So werden auch die Grundlagen für mögliche strukturelle Änderungen innerhalb des Unternehmens geschaffen.
Dieses Vorgehen ist nicht nur eine Möglichkeit mittels agilem Prozessmanagement oder „Process Agility“ die Geschäftsprozesse eines Unternehmens flexibel an die Begebenheiten am Markt anzupassen, sondern auch die agilen Werte und das zugehörige Mindset ins Unternehmen zu tragen und dort zu verankern. Durch das konsequente Anwenden und Einfordern dieser Werte auf der Führungsebene kann eine Kultur der Veränderung und des Lernens geschaffen werden, von dem die gesamte Organisation profitiert.
Wie wir diesen Zustand der Business Agility mittels des Einsatzes agiler Methoden und des Frameworks Scrum im Prozessmanagement in eine Organisation tragen und dort verankern kann, werden wir in einem folgenden Blogbeitrag betrachten.
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